Vor ein paar Tagen bin ich in der
taz über den Artikel
Eintauchen in den Netz(t)raum gestolpert und daran erinnert worden, dass das Buch
Neuromancer dieser Tage 25 Jahre alt wurde. Die deutsche Ausgabe (etwa 1987 erschienen) habe ich damals verschlungen und konnte nicht erwarten weitere Bücher von
William Gibson zu bekommen.
Wer heute dieses Buch liest, wird sich vielleicht wundern, warum es damals so prägend war. Ich erinnere mich, dass "Internet" zu dieser Zeit noch nicht in Deutschland angekommen war. Ich hatte noch einen
BTX-Zugang und wählte mich mit einem (illegalen) Modem ins
FIDO-Netz ein. Erst später mit der Liberalisierung des Kommunikationsmarktes gab es preisgünstigere Alternativen. Übrigens gibt es
hier eine gut geschriebene Dokumentation zu der Geschichte des Internets in Deutschland.
Ähnlich wie bei dem Roman 1984 von George Orwell fragt man sich, welche der damals prognostizierten Verhältnisse heute Wirklichkeit geworden sind. Und man wird mit Bestürzung feststellen, dass zumindest die negativen Aspekte heutzutage durchaus real geworden sind. Im
Neuromancer ist die Welt global geworden. Regierungen gibt es keine mehr oder spielen eine sehr untergeordnete Rolle. Für „Ordnung“ sorgen private, paramilitärische Sicherheitsdienste. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen oft mit Technologie, wie mit dem von William Gibson geprägten Begriffs des Cyberspaces - eine dystopische Welt.
Ein interessantes Interview mit Gibson ist in
Telepolis nachzulesen. Gibson sagt:
Ich bin viel mehr dabei gewesen, wie eine neue Technologie entstand, die mich zu meinen Geschichten inspirierte. Das ermöglichte es mir in den späten 70igern über den Cyberspace zu schreiben, bevor es das Internet richtig gab. Das wiederum gab mir die Reputation SF-Autor zu sein. Das war sozusagen ein Unfall. Es war ein Versehen der Geschichte. Wäre ich in der Nacht dabei gewesen, als die Dampfmaschine erfunden wurde und hätte es aufgeschrieben, wäre mir dann die Ehre zu Teil geworden, der Erfinder der Dampfmaschine zu sein?
Auch der Begriff des Cyberpunks wurde mit der Erscheinung des Neuromancers geprägt. Die
Wikipedia notiert hierzu u.a.:
Vor diesem Hintergrund zeichnet Cyberpunk oft das Bild einer Subkultur, die gleichsam als Gegenpol zu einer neuen Weltordnung ohne soziale und persönliche Sicherheit entstand. Die Hauptfiguren sind meist die Verlierer dieser Entwicklung. Es sind Glücksritter und Abenteurer, die – oftmals unfreiwillig – ein Leben abseits der Großkonzerne „im Schatten“ der Gesellschaft führen. Viele Erzählungen setzen sie als Protagonisten der Macht und Skrupellosigkeit der entfesselten Konzerne entgegen.
Vorläufer dieser Cyberwelten war für mich Anfang der 70er der Film
Welt am Draht von Fassbinder gewesen. Erst viel später kam mir der Roman Simulacron-3 in die Hände, der die Vorlage zu dem Film lieferte. Nicht zu vergessen ist natürlich
Blade Runner, dessen literarische Quelle bei Philip K. Dick liegt. Typische Technologie-Themen des Cyberpunks (Nanotechnologie, Gentechnik, Virtuelle Realität) werden heute auch von Autoren wie Michael Crichton und Stephen King behandelt und sind nun Mainstream geworden. Und sind - um an die visionären Leistungen wieder anzuknüpfen - heute Gegenstand aktueller politischer und gesellschaftskritischer Diskussionen.